Ein häufig (meiner Meinung nach nicht zu Unrecht) kritisiertes Thema ist die Größenordnung aventurischer Verhältnisse. Es beginnt bei der schlichten Größe des Kontinents und der im Vergleich dazu sehr großen Diversität von Klima, Technologie und Kulturen innerhalb einer solch winzigen Fläche (zumal ohne dass die verschiedenen Kulturen einen signifikanten Einfluss aufeinander hätten). Das Motiv dazu ist klar: Man will Spieler*innen eine möglichst große Varianz von Spielorten / Flairs / Szenarien bieten. Jede(r) möge für sich bewerten, ob dieser Einsatz das Ergebnis wert ist.
In unserem Kontext der Khom Kampagne spiegelt sich dieses aventurische Phänomen vor allem in einem wider: Die Größe der aufeinanderprallenden Heere ist zu klein.
Was in Aventurien eine Schlacht genannt wird, geht in der realen Welt höchstens als kleines Scharmützel durch. Im historischen Kontext kennen wir Zahlen, die mindestens um den Faktor Zehn größer sind. Ich habe einmal irgendwo gelesen, dass die Belagerung von Troja (die in einem Bronzezeitalter stattfand) von mehreren zehntausend Griechen durchgeführt wurde. Dagegen ist der Feldzug des Patriarchen ein kleiner Praiostagsspaziergang.
Zu einem gewissen Grad gehört das vielleicht zum aventurischen Spielgefühl: Die Skalierung erlaubt es Helden (und deren Taten), noch eine größere Rolle zu spielen und nicht in einer (zu) großen Masse unterzugehen. Wiederum: Möge jede(r) Spieler*in für sich entscheiden, ob der Preis dafür annehmbar ist.
In meiner Gruppe habe ich mich damals für einen Mittelweg entschieden. Ich wollte die Größe der Heere nicht um Faktor Zehn erhöhen, doch ich wollte der grauen Masse des feindlichen Heeres etwas mehr Plastizität verleihen.
In Summe hatte ich damals mehrere Gründe, warum ich die Organisation des Al’Anfanischen Heeres plastischer und diverser zeigen wollte:
- Das „Handlanger-Prinzip“:
Helden gegen Honak – schön wärs, nur dramaturgisch ziemlich flach. Ein Teil meiner Kampagnengestaltung war, dass die SCs sich in der Organisation der Novadis schön langsam hocharbeiten. Dazu gehört auch ein Prinzip, das dramaturgisch in der Spannungsliteratur nicht mehr wegzudenken ist: Bevor die Heldin dem Erzschurken gegenübertreten darf, muss sie erst seine Handlangerin überwinden. Je schwerer es ist, diese Treppe des Erfolgs hinaufzusteigen, desto besser für die Spannung. In meinem Fall wollte ich viele, viele Stufen haben. Zwischen den SCs und dem mit göttlichen Gaben gesegneten Tar Honak liegt so viel Distanz, dass es Monate und Jahre voller Arbeit braucht, um dorthin zu kommen. Umso befriedigender für die Spieler*innen, wenn es klappt. - Schwarz-Weiß Welt
Ich wollte in meiner Version der Kampagne zeigen, dass nicht alle Al’Anfaner „böse“TM sind. Die Welt ist (zumindest in unserem Aventurien) nicht schwarz-weiß, sondern grau in unendlich viele Schattierungen. Es gibt für jeden einzelnen der gegnerischen Soldat*innen und Heerführer*innen Gründe und Motive zu Handeln, und genauso gute Gründe, Grenzen für dieses Handeln zu setzen. Auch das Verhältnis zu den SCs sollte divers sein (ähnlich wie sich das auf der eigenen Seite darstellt). Zudem sollte es auch innerhalb der Organisation der Al’Anfaner verschiedene Strömungen, Zu- und Abneigungen, sogar Intrigen und Machtkämpfe gegeneinander geben.
Sehen wir uns also an, welche der Eroberer im vorliegenden Material ausführlich (und teils sehr kreativ und liebevoll) vorgestellt werden:
- Tar Honak [Patriarch]
- Oderin du Metuant [zunächst General des Ordens des Schwarzen Raben, später Marschall-Gubernator]
- Duridanya Karinor [Generalin]
- Araldo K’Hestofer [Schwarzmagier]
- Mustapha der Schreckliche [Freischärler und Intrigant]
Es ist auffällig, dass in dieser Liste drei Heerführer aus der obersten Riege aufgeführt sind, ein Edel-Attentäter (der nebenbei Leibmagier, bzw. -wächter des Patriarchen selbst ist, was seine Einsatzmöglichkeiten nochmals einschränkt) und ein Überläufer/Opportunist (der nebenbei mehr dem Comic Relief dient).
Es fehlen mindestens eine Handvoll Allerwelts-Gegenspieler für die SCs, über deren Rücken sie sich zur finalen Konfrontation mit dem Patriarchen hocharbeiten können.
Einschub: Hierzu wollte ich wieder meine bereits von den Verbündeten bekannte Klassifizierung verwenden, habe aber recht bald festgestellt, dass sie nur eingeschränkt verwendbar ist: In der Armee des Feindes wird es eher wenige freundlich gesinnte Charaktere geben – was eine Hälfte der Skala ad absurdum führt.
Also bin ich einen anderen Weg gegangen: Ich habe meinen Schwerpunkt darauf gelegt die Organisation des Heeres aufzufüllen (und ganz nebenbei plausibilisieren, wie eine Generalin denn nun ihr Heer führt – schließlich wird sie kaum persönlich zu allen 5000 Söldnern und Trossleuten sprechen).
Sehen wir uns also die Struktur der Al’Anfanischen Armee an.