zurück zu Khom – Der Feind und seine Gesichter (Teil 2)
Eines der Präliminaria, die ich mir damals gesetzt hatte, war „Realismus und hohe Detailtiefe“, aber auch „Echte Entscheidungsfreiheit“. Klingt, als würde es die Sache noch komplizierter machen, aber das Gegenteil ist der Fall: Ein Problem, das ich als Spieler (vornehmlich im Rahmen der G7-Kampagne) in Schlachten und Belagerungen erlebt hatte, war der geskriptete Ausgang. Das Abenteuer sah vor, dass die pösen, pösen Borbaradianer gewinnen, weil sie einmal mehr einen abgefahrenen Dämonen auf das Schlachtfeld rufen oder magische Mittel in unvorhergesehener Weise miteinander kombinieren (und nebenbei die Luftwaffe und Schlachtfeldartillerie erfinden), damit dieses Abenteuer seinen vorgeschriebenen Gang geht – und alle Nachfolgeabenteuer auch. Deus Ex Machina at its best.
Aus meiner Sicht werden diese „Schlachten“ (die übrigens die o.a. Meinung meines ehemaligen SLs maßgeblich geformt haben) nicht in einer fairen / beeinflussbaren Auseinandersetzung mit den Spieler*innen gewonnen, sondern die Spielregeln werden verändert, sodass man als SL (bzw. Abenteuerautor) die hundertprozentige Sicherheit für den notwendigen Ausgang hat. Klar ist das für die SL schwierig darzustellen. Es ist weder glaubhaft möglich, die SCs dort lebend rauszubekommen, noch spannend, weil ergebnisoffen.
Oft genug versuchen die Autoren, die SCs über einen „Umweg“ einzubinden, d.h. nicht in die Schlacht selbst, sondern in einen Kommandoauftrag zu werfen, der dann letztlich positiven Einfluss auf die Schlacht, bzw. Belagerung hat: Am Rande des Schlachtfelds liegt „zufällig“ das Grabmal des heiligen Bimbam (hurra, endlich mal ein Dungeon, den man als SL kontrollieren kann!), dessen Superduper-Schwert +8 den gegnerischen Heerführer auf 17,3 Meilen Entfernung in die Knie zwingt, nachdem es einmal geborgen wurde. Spielmechanisch, bzw. abenteuertechnisch funktioniert so etwas oft wunderbar. Hat aber mit der eigentlichen Schlacht nichts mehr zu tun (und degradiert diese zum Hintergrundgeräusch).
In meiner Version der Khom Kampagne habe ich mich also dafür entschieden, den Feind menschlicher zu machen. Es handelt sich nicht um magisch aufgeputschte Deus ex Machinas, sondern um Menschen, die in einem fremden Land darum kämpfen, am Leben zu bleiben. Jeder möchte (im Rahmen seiner Möglichkeiten) vor allem eines: das Schlachtfeld wieder lebendig und unversehrt verlassen.
Gegnerische Heerführer werden also versuchen, diese Auseinandersetzungen mit den Novadis nicht durch schiere Übermacht (oder sinnlose Opferung von Menschenleben, denn der Nachschub ist begrenzt), sondern durch das konsequente Nutzen von Gehirnwindungen zu gewinnen!
Und da sind wir beim Think Tank.
Eine Vorgehensweise, die sich für mich bewährt hat, war, sich eine Karte des Schlachtfelds / der belagerten Stadt zu besorgen und dann mit einigen Kollegen in der Mittagspause brütend darüber zu sitzen und Strategien zu erarbeiten, wie man die Novadis überwinden kann. Das hatte zwei Vorteile:
- Meine eigenen Ideen sind begrenzt. Ich gewann zusätzliche Perspektiven und Ideen und viele hilfreiche Diskussionen über „was wäre wenn“ Szenarien, die mir später bei den Entscheidungen am Spieltisch halfen.
- Meine Spieler*innen spürten, dass ein waltender Geist dahinter steckt. Oft genug bestätigten sie mir, dass sie das Gefühl hatten, erkennen zu können, wie der gegnerische Heerführer denkt und Spaß daran hatten, sich mit ihm zu messen.
Auf diese Weise konnte ich das Vorgehen des Feindes so glaubhaft und realistisch darstellen, wie es mir nur möglich war, und alle Werkzeuge eines Heerführers zu richtigen Zeitpunkten ziehen. Davon gibt es viele:
- Spähen und Erkunden
Als SL mag ich zwar allwissend sein. Die Al’Anfanischen Heerführer sind es nicht. Sie sind in einem fremden Land und müssen sich Wissen über die Umgebung und die taktischen Vorteile hart erarbeiten, um darauf basierend die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Deshalb sind für sie Späher kriegsentscheidend. Wenn die SCs es schaffen, an dieser Stelle Späher wirkungsvoll auszuschalten, kann man sie als SL mit „falschen“ Entscheidungen der gegnerischen Heerführung belohnen. - Stellung erarbeiten, beziehen und halten
Gerade weil die Novadis taktisch so undiszipliniert sind, kommt diesem Werkzeug eine besondere Bedeutung bei. Es gibt einige wichtige Truppenteile (z.B. Langbogenschützen und Pikenträger), die an die richtige Stelle gebracht (und dort geschützt!) werden müssen, um maximalen Schaden gegen eine heranrückende Kavalkade zu entfalten. - Psychologische Kriegsführung
Oft unterschätzt, aber eine verängstigte Armee kämpft nur mit halber Kraft (oder läuft sogar davon). Gerade bei Belagerungen geht es nicht darum, die Verteidiger zu überrennen, sondern zunächst maximal zu zermürben, um sie später leichter in die Knie zu zwingen (oder sogar zum Aufgeben zu bewegen, was aber bei den stolzen Novadis fast ausgeschlossen ist). Dauerbeschuss, das Schlachten der heimischen Herden, und schließlich die Versklavung von hunderten Unschuldiger, hat meine SCs an die Grenzen dessen gebracht, was sie tatenlos ertragen konnten. Denn genau darin liegt der Vorteil dieser Vorgehensweise: Zwingt man den Gegner zu einem unüberlegten Manöver (oft genug ein schlecht geplanter Ausfall oder Sturmangriff), kann man ihn umso leichter ausschalten. - Plänkeln und Suchen nach Schwachstellen in der Verteidigung
Die Al’Anfaner haben nur äußerst wenig (deshalb sehr wertvolle) Kavallerieeinheiten, darum werden sie dieses Manöver sehr sparsam einsetzen. Dennoch ist es ein wichtiger Baustein, um ein Ausbrechen von einzelnen Sippen- und Stammesgruppen aus der Formation zu provozieren (und im Anschluss ganz nebenbei in eine Falle zu locken) und so die Wucht des novadischen Angriffs bereits im Vorfeld zu schwächen. Auch bei Belagerungen dienen die meisten Angriffe nicht dazu, die Mauer wirklich zu überwinden, sondern die schwächsten Stellen zu identifizieren (um dort später geballt zuschlagen zu können). - Ablenkungsmanöver und Finten
Vorne bellen und hinten beißen, das können die Al’Anfanischen Heerführer am besten. Ein Mauerangriff im Norden dient vielleicht nur dazu, die Verteidiger vom Tor im Süden abzuziehen. Wird eine Sturmramme von den SCs mittels Feuer zerstört, wird einfach eine zweite gebaut, die ein feuerfestes Dach aufweist. Blöd nur, wenn der von den SCs angeführte Trupp, der in einem Ausfall versucht, diese ebenfalls zu zerstören, feststellt, dass die Ramme nur eine Attrappe war – dafür aber von Armbrustschützen gespickt ist, die jeden, der sich nähert, in ein mörderisches Kreuzfeuer nehmen. - Massive Angriffe auf die neuralgischen Punkte in der Verteidigung
Hat man einmal herausgefunden, wo die schwächste Stelle der Verteidigung ist, sollte man dort hart und gnadenlos zuschlagen. Meist trifft dies die Tore, aber auch niedrige Mauerabschnitte (oder auch ungeschützte Flanken in einer Feldschlacht). Hier kommen oft die Boronsraben, die Dukatengarde oder die Basaltfaust zum Einsatz, die mit grausamer Effizienz schnell und hart zur Sache gehen und von der Verteidigung kaum etwas übrig lassen.. Und wenn man sich verschätzt hat? Dann zieht man sich eben diszipliniert zurück, anstatt auch nur das geringste Risiko einzugehen und die wertvollen Elitesöldner zu opfern (und lockt so eventuell arglose Verteidiger in einen Ausfall, um sie dort niederzumachen). - Niederhalten der Verteidiger mit Hilfe von Fernkämpfern
Will ich meine eigenen Truppen bewegen und in eine bessere Position (oder schlichtweg auch nur mit ihren Leitern an den Fuß der Mauern) bringen, dann muss ich dafür sorgen, dass sie dies möglichst gefahrlos und störungsfrei tun können, um meinen taktischen Vorteil so schnell wie möglich zu erringen. Dazu hilft es, wenn die Novadis sich hinter Schilden, Mauerecken und Dächern verstecken müssen, um meinem Pfeilhagel zu entgehen, anstatt grinsend auf der Mauer zu stehen und auf den richtigen Moment zu warten, bis sie meinen angreifenden Truppen Steine und heißes Öl über die Köpfe kippen können. Ich werde als Al’Anfanischer Heerführer also nicht einen permanenten Streubeschuss durchführen, sondern ein gutes Kontingent meiner Pfeile für den Augenblick aufheben, wo ich es dringend brauche (um dann den Himmel umso mehr damit zu verdunkeln). - Kanalisation der Gegenangriffe und Flüchtender
Keiner auf Seiten der Al’Anfanischen Heerführer wird naiv genug sein, niemals mit einem Angriff der heißblütigen Novadis zu rechnen. Es wird sich nicht vermeiden lassen, dass die beweglichen Reitertruppen schnelle Vorstöße durchführen, denen ich mit meiner recht unbeweglichen Armee nicht schnell genug begegnen kann. Also bieten die Al’Anfaner mit Absicht Schwachstellen an, in die sie die Novadis locken wollen, indem sie z.B. ihren Pikenwall geschickt platzieren, oder einen Bereich des Schlachtfelds mit Pfeilhagel bedecken. Haben die Novadireiter die geopferten Hilfstruppen niedergemacht, stehen sie plötzlich einem zuschnappenden Zangenangriff gegenüber. Gleiches gilt für Flüchtende: Auch wenn es makaber ist, aber ein Flüchtender kommt später wieder – ein auf der Flucht Erschlagener nicht. Deshalb warten hinter der Lücke, die ich den Flüchtenden offenlasse, meine Reiter, um jeden niederzumachen, der hindurch stößt. - Errichtung von Sperren, Fallen und Barrikaden auf Schlachtfeldern
Was in unserer Welt Spanische Reiter heißt, haben die Novadis in dieser Form wahrscheinlich noch nicht gesehen. Auch Krähenfüße, bzw. Fußangeln können auf einem freien Schlachtfeld verheerende Wirkung gegen die Reiterangriffe haben. Zunächst stoppen sie den Schwung eines Angriffs und ermöglichen den Al’Anfanern, ihre Formation anzupassen. Im zweiten Schritt lenken sie die Angriffe an die Stellen, wo die Pikenträger und Bogenschützen ihnen am besten entgegnen können. Und da wir im Fantasy sind: Simple (aber brutal effektive) Illusionen können solche Sperren unsichtbar machen, oder Sperren an Stellen erzeugen, wo gar keine sind. - Sinnvoller Einsatz wertvollen Belagerungsgeräts
Der Schlüssel bei der Eroberung der novadischen Städte wie Unau oder auch Mherwed ist das Belagerungsgerät. Spätestens, wenn an mehreren Stellen Türme, die mit Boronsraben und Basaltfaust gefüllt sind, ihre tödliche Fracht in großer Menge auf die Mauerkrone spucken, gibt es für die seit Monaten belagerten (und entsprechend geschwächten) Verteidiger kaum eine Chance, die Angreifer zurückzuschlagen. Ebenso sinnvoll sind Sturmrammen, und -leitern, wenn auch mehr zu dem Zweck, die Verteidiger beschäftigt zu halten, als wirklich die Mauern oder das Tor zu überwinden. Natürlich sind solche Werkzeuge das lohnendste Ziel für Sabotageakte von SCs und müssen gut bewacht und geschützt werden.
Damit hätten wir also eine bunte Werkzeugkiste, die meinem Think Tank zur Verfügung steht.
Das zweite Werkzeug, das mir geholfen hat, Schlachten, Scharmützel und Kämpfe in der Khom Kampagne zu strukturieren, ist der Choreograph .
Das Problem der Al Anfaner ist, die Zeit und der Raum sind gegen sie.
Die Novadis sind zum größten Teil leichte Reiter(ohne deren wichtigste Waffen, Wurfspeer oder Reiterbogen)
d.h. eine ständige Bedrohung für das Heer der Al Anfaner, dauernde , zermürbende Reiterattacken auf dem Marsch,
Aufklärung kaum bis sehr schwer möglich und sehr gefährlich, Fouragieren ditto selbst wenn es was bringen würde.
Das gleiche gilt für Nachschub und Sklaventransporte
Mit Fußvolk leichte Reiter in der Wüste zu verfolgen macht bestenfalls wenig Sinn, schlimmstenfalls hat man eine Unmenge an Heat Casualties und wenn man gar seine Formation auflöst dreht die Reiterei um und veranstaltet ein Schlachtfest
Hi Radul,
natürlich hast du da vollkommen Recht. Langfristig ist dieser Krieg nicht durch die Al’Anfaner zu gewinnen. D.h. all ihre Anstrengung muss darin gerichtet sein, so schnell und hart wie möglich zuzuschlagen, möglichst viel in kurzer Zeit wieder hinauszupressen und dann wieder abzuziehen, ehe die Verluste zu groß werden. Ausführlich habe ich die Al’Anfanische Motivation hier geschildert:
https://benjaminhirth.com/khom-kampagne-anfangen/khom-gruende-fuer-honak/
Es steht natürlich wie immer jeder SL frei, das in alle Richtungen zu interpretieren – denn am wichtigsten ist immer das, was der Gruppe am meisten Spaß macht. (Und sollten das fliegende rosa Elefanten sein, auf denen die Al’Anfaner reiten, dann ist das eben so und verbleibt dort, wo es wichtig ist: in der Gruppe am Spieltisch).
Alles, was ich hier tun möchte, ist ein weites Feld von Vorschlägen präsentieren, aus denen sich jede(r) die passenden Versatzstücke aussuchen kann.