(Der Karneval der RSP Blogs wird diesen Monat dankenswerterweise von Timberwere gehostet – mich hat er zu folgendem Beitrag inspiriert)
Oktober 2020. Der Sommer geht zu Ende, die Corona-Saison geht weiter. Steigende Fallzahlen lassen den nächsten Lockdown in greifbare Nähe rücken.
Spielen (im Freien!) wird nicht mehr so einfach werden.
Der April 2020 hat in meinem Rollenspielerleben nach über 25 Jahren tatsächlich noch eine Neuerung gebracht (auch wenn ich wahrscheinlich der letzte, rückständige Spieler auf diesem Planeten bin, der das vorher noch nie gemacht hatte ;-)): Online-Rollenspiel. Unser rettender Strohhalm! Der Heilige Gral des Spielens in Corona-Zeiten! Äh… jein.
Spielen ist immer noch toll. Es ist nur nicht mehr das gleiche. Viele Aspekte sind eine klare Bereicherung, andere doch gewöhnungsbedürftig. Ich habe in einer kleinen, privaten Abrechn… äh… Auflistung einige davon gesammelt, in denen sich Präsenz- und Onlinespiel für meine Gruppe und mich unterschieden haben:
Präsenz bedeutet Anwesenheit
Klingt wie eine Binse, ist für mich elementar wichtig. Erst als es mir genommen wurde, habe ich festgestellt, wie wichtig für mich die Gestik und Mimik meines Gegenübers ist. In meiner Gruppe kennen wir uns wirklich gut. Wir spielen seit Jahren, es gibt entsprechendes Vertrauen – wir sind ein eingespieltes Team. Trotzdem war es für uns schwierig, ein entsprechendes Charakterspiel durchzuführen. All die kleinen Gespräche zwischen zwei SCs, die mit einem kurzen Augenkontakt initiiert werden, und die nicht länger als 1-2 Minuten dauern, aber für unser Charakterspiel so wichtig sind. An „echte“ Konflikte zwischen zwei SCs haben wir nicht mal zu denken gewagt.
Mit unserer Anwesenheit versickert auch die Anwesenheit unseres Charakterspiels.
Das Jucken in den Würfelfingern
Wieder so ein unterschätzter Aspekt. Haptik spielt offenbar in unserem Kleinhirn eine größere Rolle, als ich angenommen hatte. Alleine das Gefühl (und Geräusch) der Würfel in meiner Hand löst bei mir Emotionen aus (ein Punkt, der mir von allen meinen Mitspielern in unseren Debriefings bestätigt wurde). Man denke nur an den Moment vor der alles entscheidenden Probe, wo man mit den Mitspieler*innen nochmals Blicke austauscht und die Würfel in der Hand klappern lässt. Wie leicht ist es, hier mit der Spannungsschraube zu spielen.
Klar, eine Würfel-App (wir nutzen z.B. Roll20) kann den spielmechanischen Teil super abdecken. Je nach Spielsystem kann das Konfigurieren des Pools, die Auswahl und Auswertung der Würfel aber anfangs länger dauern. Und die Emotionen beim Mausklick sind bei mir zumindest schwächer.
Scotty, beam me zu meinem Spielort
Üblicherweise begannen meine Spieltage damit, am Sonntagmorgen um halb Sieben aufzustehen, die Kinder ins Auto zu setzen und zu Oma und Opa zu fahren, um pünktlich um zehn Uhr am Spielort sein zu können. Das hat sich nun gegessen. Nach einem gechillten Frühstück verschwinde ich im Hobbykeller, aus dem ich ab und an auftauche, um nach dem Rechten zu sehen. Nebenbei mit Kopfhörern am Herd stehen und das Mittagessen kochen? In einer kurzen Spielpause die Mathehausaufgaben kontrollieren? Alles kein Problem. Manchmal gedanklich dadurch abgelenkt zu sein? Äh… was hast du gesagt?
Und überhaupt: Wann habe ich das letzte Mal für „nur“ zwei bis drei Stunden an einem Wochentag-Abend gespielt?
Technik, Spielfluss
Habe ich gesagt, dass die Anfahrtszeit entfällt? Richtig. Was nicht wegfällt, ist die Zeit, die alle benötigen, um die Technik in Gang zu bringen. Im besten Fall nutzen wir diese Zeit für den Vorabsmalltalk, im schlechtesten warten vier Spieler*innen darauf, dass die Technik den letzten von uns endlich durch die Tore lässt. Wie gut, dass die Netzwerkqualität danach immer gut genug ist, um n… al… zu… verst… …as die Mitspi… … … …ich geben, nicht wahr?
Beruhigend ist auch, dass niemand von uns einen Router hat, der einmal pro Tag keine Lust mehr hat und neu gebootet werden muss, oder sogar einen Provider, der sporadisch für fünfzehn Minuten aus unbekannten, nicht rekonstruierbaren Gründen das Internet kappt. Windows-Reboot anyone? Nein, das passiert zum Glück niemand. Niemand.
Showdown at its best
Eine Sache, die unser Spielerlebnis wirklich bereichert hat, waren die Möglichkeiten, die uns ein Online-Tool wie Roll20 geliefert hat. Klaro kann man auch am Spieltisch aus Tokens, der Chipsschüssel und der umgedrehten Frischkäsepackung eine taktische Umgebung bauen, aber wenn man einen talentierten Grafiker hat, der mit dem richtigen Auge für stimmungsvolle Karten eine passende auswählt (oder sogar selbst gestaltet), auf der man am Bildschirm seine Figuren bewegt, dann ist das nochmal eine andere Sache. Wer kann wann wie weit seine Figur bewegen? Kann ich diesen gezeichneten Felsen nutzen, um hinaufzuklettern? Können wir uns an diesem Mauerdurchbruch verbarrikadieren? Das bietet schon einige taktische Möglichkeiten, die ich für meinen Teil gerne auch öfter im Präsenzspiel nutzen würde.
Und jetzt?
Eines ist mir im Laufe der letzten Monate klar geworden: Präsenz- und Onlinespiel sind unterschiedlich. Jedes hat seine spezifischen Stärken und Schwächen, die Jede und Jeder für sich anders beurteilen mag. Mich hat es bereichert und über bestimmte Dinge nochmal anders nachdenken lassen. Unsere Gruppe ist daran gewachsen. Wie ist das bei euch?