Karneval der RSP Blogs: Kriminalabenteuer

Der Karneval der RSP Blogs handelt diesen – hüstel – letzten Monat vom Thema Polizei, Grund genug für mich, sich mal mit dem Thema Kriminalabenteuer auseinanderzusetzen – genauer gesagt, warum ich meine Liebe Mühe damit habe (und einige klägliche Versuche, diese in den Griff zu bekommen).

Vorweg: Ich mag eigentlich Kriminalabenteuer. Zumindest den Idealzustand davon. Ich kann mir ebenfalls vorstellen, dass viele Spieler*innen dort draußen es genießen, welche zu erleben. Mein Hauptproblem damit ist, dass unser aller Medienkonsum (Bücher, Serien, Filme, Hörspiele, Computerspiele, …) uns tagtäglich mit Kriminalgeschichten versorgt, die uns mit Konventionen und Erwartungen „vergiften“, die am Spieltisch oft schwierig umzusetzen sind.

Einige davon möchte ich an dieser Stelle gerne erläutern:

Sheriff Lonesome vs. Heldenhorde

„Die Ermittlerin schlich durch die feuchte Gasse, huschte von Schatten zu Schatten, um stets mit der Dunkelheit verschmolzen zu bleiben. Das Objekt ihrer Verfolgung blickte sich immer wieder nervös um, während es auf die Tür einer schmierigen Kaschemme zuhielt und schließlich darin verschwand. Die Ermittlerin lächelte, zog sich die Kapuze über den Kopf und legte sich bereits zurecht, wie sie sich unter die Menge mischen und dem hier folgenden Gespräch mit dem Drahtzieher möglichst unauffällig lauschen konnte…“

Ach nein, richtig: wir haben ja gar keine einsame, geschickte Ermittlerin. Dem Handlanger folgen der stahlklimpernde Zwerg („dieses Kettenhemd hat mein Urururur-Großvater mit seinem eigenen Blut und Sabber geschmiedet, das lege ich nicht einmal zum Schlafen ab!“), der humpelnde Magier („Ohne diesen Nachteil hätte ich niemals die GP für das Zauberritual des Dumpfipumpf bekommen!“) und der idealistische Ritter („Sobald der Schurke in der Kaschemme drin ist, stürmen wir den Laden und räuchern ihn komplett aus! – Was, ihr seid dagegen? Dann mach ich das eben allein!“).

Auch wenn es ein extremes Beispiel ist – ein Problem, das ich in Kriminalabenteuern sehe, ist dass viele archetypische Szenen auf Sheriff Lonesome maßgeschneidert sind und massiv unglaubwürdig werden, sobald eine Horde SCs hinein stolpern. Natürlich kann man die entsprechende Szene nur den einen der SCs erleben lassen, auf den dieses Szene passt, doch das ist in meinen Augen nur ein schaler Kompromiss, denn es zwingt den Rest der Spieler*innen in eine passive Beobachterrolle, die sich am Spieltisch nur zeitlich begrenzt sinnvoll umsetzen lässt. Denn blöderweise neigen Kriminalabenteuer dazu, öfters solche Szenen aufzuweisen und einen Alleingang eines SCs erfolgversprechender erscheinen zu lassen.

Ganz zu schweigen davon, dass typische Wendungen oft davon ausgehebelt werden. Beispiel gefällig: In der Kaschemme überschlagen sich Ereignisse, die Ermittlerin wird Zeugin einer überraschenden Wendung und verfolgt daraufhin den wahren Schuldigen bis zum großen Finale, weil sie sich unter die Kutsche hängt, mit der der Erzschurke davoneilt. Zwerg, Magier und Ritter dürfen also gerne ausknobeln, wer von ihnen das machen darf, um anschließend beim Schurken um Karenzzeit zu bitten? Nach dem Motto: „Moment bitte, ich muss kurz meine Kumpels anrufen, damit sie noch kommen, bevor du den Sohn des Grafen in diesem Schlammtümpel versenkst…“

Klaro gibt es auch Beispiele aus der Medienlandschaft, bei denen ein Ermittlerteam tätig ist. Oft sind diese allerdings hochgradig spezialisiert: Während einer den Schurken observiert, führt die zweite die Autopsie an der Leiche durch, die Cyberspezialistin findet den Fluss der Geldwäsche und der Chef der Truppe erwirkt derweil beim Richter den Durchsuchungsbefehl… Lässt sich am Bildschirm super sehen. Kann man auch spielen. Hat nur mit dem Erlebnis “Gruppenspiel“ nicht mehr allzu viel zu tun.

Man muss also entweder unrealistische Handlungen zu einem gewissen Grad in Kauf nehmen oder sich damit abfinden, dass viel Spielzeit im „Splitscreen“ verbracht wird.

Freiheit vs. Dramaturgie

In beinahe jedem Kriminalfall, den ich in den letzten Jahren in Medien konsumiert habe, stößt die Ermittlerin zuerst auf eine erfolgversprechende Spur, verfolgt diese durch Irrungen und Wirrungen – nur um nach der Hälfte der Zeit festzustellen, dass sie falsch ist. Das ist klasse für die Dramaturgie, setzt aber voraus, dass sie sich gleich zu Anfang auf diese Spur stürzt. In Roman, Film, etc. ist das super möglich, denn da bestimmt nur der Autor die Handlungen der Ermittlerin. Am Spieltisch sitzen oft vier bis sechs Gehirne, die das vollkommen anders angehen würden. Denn genau diese Freiheit, die man als Spieler*in hat, ist das einzigartige an unserem geliebten Hobby Rollenspiel!

Man muss also als SL ganz elegant die Handlungen seiner Spieler*innen lenken und manipulieren, um sie auf solch eine falsche Fährte lotsen zu können. Was gar nicht einfach ist. Denn es sollte den Spieler*innen bestenfalls nicht auffallen. Im Grunde ist es Railroading (wenn auch verstecktes, je nachdem wie fähig man als SL ist), das man in Kauf nehmen muss, um die Dramaturgie zu unterstützen. Eine Sache, die man aber stets unterschätzt, ist dass diese Dramaturgie nur wirkt, wenn man als Konsument des Kriminalfalls zumindest die Illusion bekommt, man hätte es lösen können, den einen Hinweis sehen können, der später zur richtigen Spur führt.

Beispiel dazu: Ich hatte im Rahmen einer kleinen, regionalen Kampagne, die in Aventurien in der Provinz Abagund spielt, ein selbstgeschriebenes Kriminalabenteuer in meiner Gruppe geleitet, in dem ein Diebstahl aus den Gemächern der Baronstochter (auf Burg Draustein) aufgeklärt werden sollte. In Wahrheit war es eine Krähe, die das Nest in einem Baum vor dem Fenster hatte, ich ließ also die Krähen regelmäßig in meinen Beschreibungen auftauchen und meine Spieler*innen hielten es zum Glück für einen Teil des Lokalkolorits. Nach einigen Irrungen, falschen Fährten und zunehmendem Zeitdruck kamen sie drauf – die dramaturgische Wirkung war großartig. Was ich gemacht hätte, wenn jemand gleich zu Anfang aus dem Fenster der Baronstochter geblickt und in das Vogelnest gesehen hätte? Keine Ahnung. Vielleicht gelogen? Oder den Spielleiterschirm zusammengeklappt, gratuliert und etwas anderes gespielt?

Man bewegt sich in einem Kriminalabenteuer also ständig auf einem extrem schmalen Grad zwischen Dramaturgie und Spielfreiheit, bzw. -einschränkung, den es zu balancieren gilt. Das muss man mögen – und als SL einige handwerkliche Fähigkeiten haben!

Spielen im Konjunktiv

Wer kennt nicht die Diskussionen rund um einen Heldenplan? Steigen wir in dieses Haus ein und wenn ja, wie? Welche Abwehrmaßnahmen gibt es? Wer geht zuerst über den Zaun? Was machen wir, wenn ein Hund auf der anderen Seite ist? Spieler*innen neigen dazu, sich vor absehbar komplizierten, und umso entscheidenderen (!), Szenen einen ausgefeilten Plan zurechtzulegen. Oft geht bis zu einer Stunde kostbarer Spielzeit dafür drauf, in der mehrere Varianten erwogen, verworfen, argumentiert und gegenargumentiert werden. Und am Schluss stellt sich heraus, dass die Situation völlig anders als erwartet ist, dass gleich der erste Würfelwurf schief geht, dass man etwas entscheidendes übersehen hat – und die gesamte Diskussion der letzten Stunde obsolet und im Grunde wertlos ist.

Schlimmer ist das ganze noch in Kriminalabenteuern. Hier gilt es nicht nur, die Pläne zu diskutieren, sondern zusätzlich die potentiellen Verdächtigen zu analysieren, Motive zu suchen, Theorien zu erörtern und daraus resultierende Handlungen und Optionen festzulegen. Okay, das gehört in einem gewissen Maß irgendwie immer zum Spiel.

Ich habe vor allem ein Problem damit, wenn es überhand nimmt. Wenn drei Viertel eines Spielabends im Konjunktiv stattfinden, aber niemals Realität werden, dann bleibt am Ende von solchen Diskussionen: Nichts. „Und, was habt ihr heute erlebt? – Nun, wir haben vor einer Scheune gestanden und diskutiert, aber als wir reingegangen sind, war sie leer.“ Kann man mögen. Ich finde es schwierig, wenn die Balance nicht mehr stimmt.

Solche Situationen erfordern meiner Meinung nach eine erhöhte SL-Aufmerksamkeit. Die SL muss an solchen Stellen regulierend eingreifen, damit sich die Spieler*innen nicht verrennen und damit die Konjunktiv-Zeit nicht die gesamte Spielzeit dominiert. Im Grunde einmal mehr eine Form von Railroading. Oder man akzeptiert halt, dass im Grunde nichts passiert und man die meiste Zeit in einem Gedankengebäude verbringt (das bereits im Gedankengebäude des Spielerlebnisses steckt, was die Sache noch verrückter macht).

Kriminalabenteuer mögen ein spezielles Genre sein – gut gemacht gehören sie allerdings zu den Highlights dessen, was man als Rollenspieler*in erleben kann (zumindest mir geht es so). Wenn es nicht so schwierig wäre, sie umzusetzen.

Mich würde interessieren, welche Erfahrungen ihr gemacht und welche Lösungsansätze ihr gewählt und für euer Spiel als gut empfunden habt.

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